A. Bendheim u.a. (Hrsg.): Prag in der Zeit der Luxemburger Dynastie

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Titel
Prag in der Zeit der Luxemburger Dynastie. Literatur, Religion und Herrschaftskulturen zwischen Bereicherung und Behauptung


Herausgeber
Bendheim, Amelie; unter Mitarbeit von Heinz Sieburg
Reihe
Interkulturalität. Studien zu Sprache, Literatur und Gesellschaft 17
Anzahl Seiten
197 S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Winkelmann, Flensburg

Der Tagungsband versammelt zehn Beiträge, die auf eine Konferenz an der Universität Luxemburg im Jahr 2016 zurückgehen. Anlässlich des 700. Geburtstags Karls IV. tagten WissenschaftlerInnen aus Luxemburg, Tschechien und Deutschland, um Prag sowie Böhmen als „mehrsprachigen Kommunikationsraum“ vor allem aus germanistischer Perspektive in den Blick zu nehmen. Die luxemburgisch-tschechische-deutsche Kooperation ist lobenswert und zugleich naheliegend bei einer spätmittelalterlichen Königsdynastie wie die der Luxemburger. In der Geschichtswissenschaft hat hier bereits 1978 der von Ferdinand Seibt herausgegebene Sammelband über Kaiser Karl IV. Maßstäbe internationaler Zusammenarbeit gesetzt1, welche im Falle der Luxemburger bis in die jüngste Zeit, nunmehr auch seinen Sohn Sigismund fokussierend, fortgesetzt wurde. Im vorliegenden Fall ist die Kooperation mit Blick auf mediävistische Interkulturalität motiviert, so wie sie Heinz Sieburg in seinem Aufsatz von 2011 entwickelte.2 Sieburg stellte 2011 u.a. fest, dass interkulturelle Fragestellungen zur mittelalterlichen Literatur methodologisch zu stark durch eine national verkürzte Perspektive eingeschränkt wurden. Hier will der Band nun überwindende Zeichen setzen.

Neben einer knapp gehaltenen Einleitung von vier Seiten finden sich nach den zehn Aufsätzen am Ende die Kurzbiographien der beteiligten AutorInnen, welche zur Einordnung für die LeserInnen hilfreich sind.

Den Auftakt setzt Michel Pauly. Mit ihm haben die HerausgeberInnen einen Nestor der Luxemburger-Forschung als Beiträger gewonnen. Pauly stellt die verwickelte Geschichte um das Herzogtum Luxemburg zur Zeit Karls IV dar. Er zeichnet dabei das Bild eines pragmatischen Königs, der dynastische und Reichsbelange verzahnt verfolgte, um maximale Ergebnisse für seine Dynastie zu erzielen. Sieht man auf den Titel des Buches, ist in erster Linie das Fazit von Bedeutung, weil es einordnend feststellt, dass der politisch-herrschaftlich gefestigte Westen wenig Spielraum für territoriale und dynastische Geländegewinne gab und Karl IV. deshalb die Hausmacht in Luxemburg letztlich für die territorialen Erweiterungen im Osten vernachlässigte. Eine Interpretation, die sich auch am Beispiel des Erwerbs der Mark Brandenburg bestätigen lässt. Die große Luxemburger-Kennerschaft Paulys hätte mit Blick auf das Buch hier sicher besser genutzt werden können, wenn der Beitrag eine größere historisch-politische Gesamteinordnung von Karls Wirken in Böhmen vorgenommen hätte.

Milan Tvrdík verdeutlicht die qualitativen Unterschiede im Umgang mit Dichtung und Kunst zwischen den letzten Premysliden und den Luxemburgern, hier vor allem Karl IV. Während die Vorgänger Karls – einschließlich seines Vaters Johann – Kunst und Kultur eher als Schmuckwerk für ihren Hof ansahen, welche zur Heroisierung des Herrschers genutzt werden konnte, setzte Karl Kunst und Kultur gezielt für die Stützung seines königlichen Machtanspruchs ein. Der Autor beschreibt dabei, dass Karl IV. zwar sich selbst des Lateinischen bediente, um etwa seine Vita Caroli zu verfassen, letztlich aber durch sein kulturelles Wirken sowohl das Deutsche wie vor allem auch das Tschechische bedeutende Entwicklungsschübe erfuhren. Letzteres entwickelt sich auch in Abgrenzung und im Konflikt mit dem Deutschen weiter, was ganz im Sinne böhmischer Intellektueller war.

Ebenfalls einen Blick auf das Herrschaftsprogramm Karls IV. wirft Václav Bok. Er beschäftigt sich mit den am Niederrhein entstandenen deutschsprachigen Handschriften der Wenzelslegende. Diese in Legendaren überlieferten Variationen sind vornehmlich in Frauenkonventen entstanden. Der Autor geht der Frage nach dem Zusammenhang zwischen den einzelnen Handschriften einerseits und der Textvorlage andererseits nach. Ermittelt wird dabei, dass es sich um einen lateinischen Text gehandelt haben muss, dessen Quellen in den verschiedenen böhmischen lateinischen Wenzelslegenden des 13. und 14. Jahrhunderts zu suchen sind. Der Beitrag gibt vor allem mit seiner historischen Einordnung einmal mehr den Blick auf das systematisch vorgetragene Herrschaftsprogramm Karls IV. frei, der zielgerichtet die böhmische Wenzelslegende und den „deutschen“ Karlskult zusammenbrachte und so auch symbolisch sein deutsch-böhmisches Königtum unterfütterte. Während König Karl IV. in Prag ein Augustiner Chorherrenstift gründete, welches Karl dem Großen und der Jungfrau Maria geweiht war und dessen Kirche baulich an der Aachener Pfalzkapelle anknüpfte, gründete Karl IV. im vermeintlichen Geburtsort Karls des Großen, in Ingelheim, ein kleines Kapitel zu Ehren des heiligen Wenzel. Ferner ließ Karl IV. 1362 im Aachener Dom einen Wenzelsalter errichten und bestimmte, dass der Altarist Tschechisch können müsse. Die vom Autor untersuchten niederrheinischen Wenzelslegenden sind somit Ausdruck dafür, dass Karls Stiftungen zu einem gewissen Bekanntheitsgrad des Wenzelkults führten.

Im Aufsatz der Mitherausgeberin Amelie Bendheim „Der Kaiser bestimmt! Alanus ab Insulis‘ Anticlaudianus und Heinrich von Mügelns Der Meide Kranz“ zeigt die Autorin auf, wie Heinrich von Mügeln den Stoff von Alanus ab Insulis adaptierte und zeitgemäß für das ausgehende 14. Jahrhundert umformte. Hier ist nicht der Platz um den Inhalt der beiden Schriften auszubreiten, wichtig sind die Interpretationen der Autorin. So zeugen die Veränderungen Heinrich von Mügelns, die sich unter anderem auf die Person Kaiser Karl IV. richteten, nicht nur davon, dass Karl als Mäzen von Kunst und Kultur gelobt werden sollte, sondern er selbst als Idealgestalt des neuen gebildeten Menschen gelten sollte, welcher Gegenstand beider Werke war. Das Werk sei – auch mit Blick auf den Bedeutungszuwachs menschlicher Vernunft im Vergleich zur reinen Hinwendung zu Gott – Ausdruck eines weiterentwickelten Bildungsideals, welches eng mit dem Aufblühen Prags als Universitätsstadt gekoppelt ist. Das Werk richtete sich dabei vermutlich an den höfischen Adel im Sinne eines Fürstenspiegels.

Kristýna Solomon beabsichtigt mit der Analyse eines von einem tschechischen Anonymus verfassten Tristan-Romans zu verdeutlichen, dass Böhmen Ende des 14. Jahrhunderts als multikultureller Raum anzusehen ist. Die Verfasserin zeichnet dabei zunächst knapp die europäischen Überlieferungstraditionen des Tristan-Stoffes nach, um dann die Spezifika der tschechischen Variante als bewusste Reaktion des Autors auf die sozialpolitischen Verhältnisse in Böhmen zu interpretieren. Es geht ihr darum, den Tristan-Roman als „konstitutiven Bestandteil europäischer Erzähltraditionen und gleichzeitig für das Konzept interkultureller Mediävistik“ einzuordnen und fruchtbar zu machen. Dies sieht die Autorin insofern gerechtfertigt, als dass die von ihr untersuchte tschechische Variante eben nicht nur auf alle damals zur Verfügung stehenden Überlieferungen des Stoffes zurückgriff, sondern bewusste Änderungen vornahm. Wünschenswert wäre es hier im Sinne einer Unterfütterung der These gewesen, wenngleich dies den Rahmen des Aufsatzes gesprengt hätte, die spezifischen Änderungen vor konkreten zeithistorischen Umständen und Akteuren zu beschreiben.

Mit Blick auf diese Anmerkung hätte dem Sammelband vielleicht eine gebündelte Nachzeichnung des politisch-sozialen und kulturellen Zusammentreffens von Böhmen, Deutschen und fremdländischen Hofangehörigen gutgetan. Eine solche Darstellung böte eine Verständnisfolie für die Einordnung der eher literaturwissenschaftlich orientierten Abhandlungen, die selbstredend nur kurz historische Zusammenhänge anreißen können. Orientierend ließe sich an den Sammelband „Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen“ aus dem Jahre 1978 denken, in welchem z.B. Josef Macek in seinem Beitrag die Bedeutung des karolinischen Hofes für die kulturelle Entwicklung Böhmens darstellte.3

Dessen ungeachtet wird im vorliegenden Sammelband deutlich: Unter dem Herrscherprogramm eines Karls IV. und im mitunter konflikthaften und konkurrenzgeprägten Nebeneinander von Deutschen und Böhmen, sog Prag im 14. Jahrhundert europäische Kulturimpulse auf und entwickelte daraus eine eigene kulturelle Prägung, die auch maßgeblich das Tschechische beförderte. In diesem Sinne bestätigen die Aufsätze in ihrer Gesamtheit die Eingangsannahme, Böhmen als „Modellfall der Durchmischung“ zu interpretieren und die Interkulturalität als Quelle von Innovation als auch von Identitätsbildung zu begreifen.

Mit Blick auf die skizzierten fruchtbaren Ergebnisse sieht sich der interkulturelle Blick im Sinne des Mitherausgebers Sieburg bestätigt. Selbiger ist bei der „universalistisch“ charakterisierten Herrschergestalt Karls IV. und seiner länder- und kronensammelnden Dynastie der Luxemburger ohnehin naheliegend und notwendig. Spannend bleibt – hier aber eher aus der Perspektive der historischen Mediävistik – wie sehr die Vertreter der großen königsfähigen Dynastien Europas überhaupt in „nationalen“ Kategorien dachten und ob nicht das dynastische Fortkommen und die Implementierung familiärer Macht – jenseits der eigentlich noch nicht vorhandenen nationalen Grenzen – stets im Mittelpunkt des herrschaftlichen Handelns lag. Insofern wäre auszuloten, wie sehr Karl tatsächlich absichtsvoll „universalistisch“ oder „interkulturell“ oder schlicht herrschaftspragmatisch handelte.

Anmerkungen:
1 Ferdinand Seibt (Hrsg.), Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978.
2 Heinz Sieburg, Plädoyer für eine interkulturelle Mediävistik, in: Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 2, Heft 2, 2011, S. 11–26.
3 Macek, Josef, Die Hofkultur Karls IV., in: Ferdinand Seibt (Hrsg.), Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen, München 1978, S. 237–241.

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